Physik der Medien. Materialien, Apparate, Prsentierungen (Weimar
2002)
Einleitung 2014
Zwlf Jahre nach dem Erscheinen der Physik der Medien, eines philosophischen Buches, l§t es sich leichter in seine Entstehungszeit einordnen, als es ihm selber damals mglich war. Deshalb kann nun auch das Verhltnis zum heutigen Forschungs- und Diskussionsstand in Betracht gezogen werden.
Entsprechend den zwei Hauptwrtern im Titel verfolge ich hier
zwei Themenlinien. Die eine Linie ist die der ăMedienŇ im Sinn der
Medientheorie, die gerade um das Jahr 2000, also in der Entstehungszeit meines
Buches, im deutschsprachigen Raum eine explizite Annherung an die Philosophie
durchlebte, welche fr sie neu war, wenn auch keineswegs vllig berraschend.
Denn seit ihrem ersten laut hinausposaunenden Auftreten – 1964 mit
Marshall McLuhans Understanding Media.
The Extensions of Man
– war die Medientheorie mit dem Anspruch verbunden, zumindest die Erkenntnistheorie, gleichzeitig auch jede Form der Kulturtheorie, und damit in einem das gesamte Wirklichkeitsverstndnis umzustrzen. Indem sie eine bis dahin so nicht bekannte, jedenfalls so nicht benannte Ursachenebene, eine Schicht von universal wirksamen Bedingungen aufdeckte, die bisher nur in Teilaspekten von Sprache oder Schrift bewu§t geworden war, geriet Medientheorie sozusagen unversehens in die Rolle einer ăprima philosophiaŇ – die sie zwar dann doch nicht voll bernehmen will, von deren Anspruch sie sich aber (auch ohne den Titel) vielfach tragen l§t.[1] Der Sammelband Medienphilosophie aus dem Jahr 2003 spiegelt diese etwas widersprchliche Lage zwischen einer metatheoretischen Positionierung und einer Herausforderung zu empirischen Untersuchungen innerhalb einer Realittsschicht.
Die Physik der Medien hat sich von einer metatheoretischen Anspruchs-Positionierung durchaus ferngehalten und hat stattdessen zum einen eine theoretisch konsistente Definition der Medien zu geben versucht, zum anderen eine Anthologie konkreter Mediographien vorgelegt. Bei der Definition des Begriffs ăMediumŇ verl§t sich meine Arbeit weder auf das common-sense-Verstndnis, wonach ăInformationŇ und ăKommunikationŇ als Zielbestimmung des Medialen ausreichen, noch auf die Definitionsvorschlge von McLuhan, die zum einen auf die Ausweitung menschlicher Krperorgane, zum andern auf die bersetzung von Gehalten von einer Form in eine andere abheben. Ich greife auf Michel Foucaults These zurck, wonach die im 19. Jahrhundert dominante episteme sich um die ăProduktionŇ zentriert habe.[2] Daher die Bedeutung der ăProduktionsmittelŇ. Fr die episteme des 20. Jahrhunderts ist es dann bezeichnend gewesen, die Medientheorie hervorzubringen, und die Medien finden im Begriff ăPrsentationsmittelŇ die ihnen zustehende Definition (mit genus und differentia specifica). ăPrsentierungŇ bezeichnet eine sehr allgemeine Funktion, die sich von Produktion unterscheiden l§t (wiewohl berlappungen dann nicht ausgeschlossen sind – was im Einzelfall fstzustellen und zu untersuchen ist). Dies zur Zweckbestimmung der Medien (welche ihre Funktion entweder ăprofessionellŇ oder aber ăokkasionellŇ ausben).
In ihrem Eigensein sind die Medien einerseits Vollzge, die aktionsartig oder proze§haft ablaufen: Prsentationen, Mediationen, Kommunikationen (aus ăTelepathieŇ wird ăTelekommunikationŇ); Vilm Flusser hat einige davon als ăGestenŇ beschrieben.[3] Andererseits haben wir es mit materiellen Gegebenheiten zu tun, mit natrlichen oder knstlichen Krpern (ăknstlichŇ verweist hier auf ăTechnikŇ), mit dingartigen Aggregaten (wiewohl zwischen ăDingŇ und ăMediumŇ gewisse generelle Unterscheidungen auch mglich sind). Obwohl Mc Luhan die Medienkrper definitorisch von menschlichen Organen abgeleitet hat (was ja eine mgliche Genealogie darstellt), hat er in vielen Fllen die Eigenkrperlichkeit der Medien scharf beobachtet und pointiert beschrieben – etwa mit der Gegenberstellung von ăZiegel-MauerŇ und ăMosaik-FormŇ (eine Opposition zwischen hnlichen).[4] Krperlichkeit, Materialitt, Eindrcklichkeit, Wirksamkeit – das ist die Begriffsreihe, die in McLuhans Mediographien am Werk ist und die ich mir zum Vorbild genommen habe.
Rgis Debray hat die Disziplinbezeichnung ăMediologieŇ in die Welt gesetzt. Sein Feingefhl hat er damit unter Beweis gestellt, da§ er sich irgendwo eingesteht, es m§te eher ăMediographieŇ hei§en – und ich fge hinzu, die verlangt unbedingt nach Pluralisierung. [5]
Medientheorie als Ausarbeitung und womglich als Aneinanderfgung, reflektierende Vergleichung und Problematisierung von Mediographien. Das ist die Form, die McLuhan gewhlt hat und in der ihm etwa Vilm Flusser gefolgt ist und die offensichtlich im Jahre 2003 noch als Desiderat nachgefragt worden ist, wenn Stefan Weber schreibt: ăGibt es nur eine Medienphilosophie der neuen Medien (wie Computer und Internet), oder gibt es auch eine Medienphilosophie des Buches, der Zeitung, des Films, des Radios oder des Fernsehens? ... Noch nicht geschrieben ist demnach eine Medienphilosophie klassischer Medien ...Ň.[6] Zur Dominanz der Neuen Medien ist allerdings zu bemerken, da§ der Anschub, der zur Erfindung und Entwicklung der Medientheorie im 20. Jahrhundert gefhrt hat, sehr wohl von den ăneuenŇ, also von den zeitgenssischen Medien-Erfindungen ausgegangen ist.
Auch die Physik der Medien ist ein Beitrag zu so einer ăMedienphilosophieŇ: ein philosophischer Beitrag, der vor allem ăempirischŇ sein will. Eine kleine Enzyklopdie von deskriptiv-narrativen Mediographien, in denen viele Medien zum ersten Mal (fast!) als solche entdeckt werden: Tisch, Stuhl, Bett. Und vorangestellt wird ihnen die Hand, die nicht nur die ăMutterŇ des Hammers (aber der ist wohl kaum ein Medium) sondern selber ein Proto-Medium ist: Prsenzinhaberin, Prsenzstifterin – und berdies seit Jahrtausenden ădigitalŇ im wrtlichsten und daher auch im genealogischen Sinn. Die Hand ist es, die den Menschen zum ăTier mit den DingenŇ gemacht hat: Tier, das Dinge zu tausenderlei Zwecken da her und dort hin und so weiter und noch weiter setzt, legt, stellt – auf den Tisch, auf dem Tisch, neben den Tisch, unter den Tisch. Tier, das nicht umhinkommt, zu ăverdinglichenŇ und allerlei Gehalte in Dingen zu verkrpern.
Zur Mediographie des Tisches habe ich vor kurzem einen kollegialen Text bearbeitet: den Gedicht-Essay von Francis Ponge, den ich der ăPoetischen PhysikŇ zuordne (da er selber mit ăMetaphysikŇ nichts zu tun haben will, wohl aber mit ăPhysikŇ im Sinne von Lukrez).[7] Damit komme ich zum zweiten Teil dieser nachtrglichen Einleitung, in dem ich auf den Grundtitel der Physik der Medien – nmlich ăPhysikŇ – eingehe.
Die Titelbezeichnung ăPhysikŇ entfernt sich vom mainstream der Medientheorie ebenso deutlich wie die Einbeziehung von alten oder gar immerwhrenden Medien (Erde, Wasser, Luft, Licht). Diese ăMedienŇ (deren mediale Funktionen hier nicht errtert werden) sind Phnomene, fr die nach blichem Verstndnis ganz weit entfernte Disziplinen zustndig sind: Naturphilosophie, Kosmologie. Und eben weil das so ist, whle ich als Titel fr meine Grunddisziplin ăPhilosophische PhysikŇ - die ich zwischen der bekannten und allseits anerkannten Wissenschaftlichen Physik und der Poetischen Physik ansiedle (fr welche Namen wie Lukrez, Goethe, Caillois, Ponge .... stehen mgen).
Die Philosophische Physik beansprucht nicht weniger wissenschaftlich zu sein als die Wissenschaftliche: sie will nachvollziehbar und diskutierbar sein – nur ihr modus operandi ist ein anderer: sie geht vom Augenschein bzw. von den anderen sinnlichen Anscheinen aus; sie arbeitet nicht mit der Mathematik sondern mit der Umgangssprache. Sie geht hauptschlich beschreibend vor, kann aber auch ins Erzhlerische ausufern. Doch versteigt sie sich weit weniger als die Wissenschaftliche ins Spekulieren: Urknall und Higgs-Teilchen (oder gar Gottesteilchen) wird sie kaum ăentdeckenŇ, allenfalls ironisch herbeizitieren. Abschreiben ist nicht grundstzlich verboten; fr die Philosophische Physik sind die drei Physik-Gattungen nicht streng gegeneinander abgeschottet (und innerhalb einer jeden Gattung hlt sie verschiedene Versionen fr mglich); auch ăPhysikŇ kann in den Plural gesetzt werden.[8]
Die Philosophische Physik folgt einer aristotelischen sowie einer phnomenologischen Inspiration. Ihren theoretischen Leitbegriff findet sie indessen weniger in dem blassen ăPhnomenŇ als vielmehr in der sensualistisch-materialistischen ăErscheinungŇ und mit diesem Begriff ist bereits eine Ttigkeit des erscheinenden Objekts oder Dinges oder Wesens gemeint.[9] Daher l§t sich in der neu-realistischen Philosophie-Strmung, welche mit Namen wie Bruno Latour, Quentin Meillassoux, Graham Harman, Iain Hamilton Grant, Levi Bryant verbunden ist, eine Art Weiterfhrung der Philosophischen Physik oder aber ein Bndel von Parallelaktionen sehen. Die genannten Autoren haben fr ihre Anstze recht unterschiedliche Bezeichnungen oder Nomenklaturen wie ăContinental RealismŇ, ăContinental MaterialismŇ, ăSpeculative RealismŇ, ăSpeculative OntologyŇ, ăObject Orientated OntologyŇ, ăSpeculative MetaphysicsŇ gewhlt. Die meisten dieser Titulierungen passen fr die Philosophische Physik eher nicht; aber einige der damit bezeichneten Texte konvergieren mit ihr in bemerkenswerter Weise. In Guerilla Metaphysics. Phenomenology and the Carpentry of Things (Chicago-La Salle 2005) entwirft Graham Harman eine ăobjekt-orientierte PhilosophieŇ, indem er von einer Diskussion der Zeug-Analyse bei Heidegger ausgeht und sich ber den Begriff der ăstellvertretenden UrsacheŇ dem des ăMediumsŇ nhert: stellvertretende Ursachen ermglichen ăindirekte KommunikationenŇ zwischen selbstndigen Objekten jeglicher Art. Harman erweitert den Medienbegriff ber die anthropozentrische Funktionalisierung hinaus, mit der auch ich mich begnge. Zwar zgert er, seinen Ansatz als ăPhysikŇ zu bezeichnen, weil er ihn von der Naturwissenschaft abgrenzen will, erklrt sich aber mit diesem Begriff einverstanden, sofern er auf die griechische physis verweist, welche nicht nur die ăNaturŇ meint sondern das Wesen jeglichen Seienden, sei es auch knstlicher oder technischer Art.[10]
Der Hinweis auf Harman soll andeuten, da§ die Philosophische Physik, die meinem Medien-Buch zugrundeliegt, in der aktuellen Diskussion nicht isoliert dasteht – ja da§ eine gr§ere internationale Theorieproduktion und –diskussion in den letzten Jahren sich auf hnliche Wege begibt.[11] Ihr Grundbegriff der ăErscheinungŇ impliziert einen ăsthetischen MaterialismusŇ, der aber keineswegs in traditioneller ăsthetikŇ stecken bleibt, sondern ihn in die technologische Dimension weitertreibt. Diese Erkenntniskraft erweist sie etwa am Geld, nach Meinung mancher einem ăLeitmediumŇ der Gegenwart: wenn Theoretiker immer wieder von einer zunehmenden ăEntmaterialisierungŇ des Geldes reden, die in elektronischen Datenstrmen ihren Hhepunkt erreichen soll, dann weist die Physik der Medien darauf hin, da§ diese Rede nicht nur die technischen Tatsachen verkennt sondern auch die Machtverlagerungen verdrngt: die neuen Geldformen stellen eine ăTransmaterialisierungŇ dar – hin zu den Erscheinungen auf Bildschirmen wie auch zu den massiven und natrlich abgesperrten Rechneranlagen, die miteinander vernetzt sind und die Geldgeschfte und Geldvermgen der Einzelnen zwar sichern sollen – sie ihnen aber gleichzeitig grundstzlich entziehen (S. 183ff.).
Die ăPhysik der MedienŇ erprobt einen ătechnologischen MateralismusŇ, der sich an einem weitgespannten Begriff des ăKrpersŇ orientiert, weder die Nhe zur Naturphilosophie noch die zur Anthropologie scheuend.[12]
Ich schlie§e mit einem erkenntnispolitischen Motto: Es gibt Medien, die so gut funktionieren, da§ Wesenserkenntnisse mglich sind – auch medientheoretische.
[1] Siehe Reinhard Margreiter: Medien/Philosophie: ein Kippbild, in: St. Mnker, A. Rorsler, M. Sandbothe (Hg.): Medienphilosophie. Beitrge zur Klrung eines Begriffs (Frankfurt 2003): 151, 170; Mike Sandbothe: Der Vorrang der Medien vor der Philosophie, in St. Mnker, A. Roesler, M. Sandbothe (Hg.): op. cit.: 185; siehe auch Frank Hartmann: Medienphilosophie (Wien 2000); Mike Sandbothe: Pragmatische Medienphilosophie (Weilerswist 2001).
[2] Siehe Michel Foucault: Les mots et les choses. Une archologie des sciences humaines (Paris 1966): 264ff. Obwohl der Begriff ăMediumŇ bei Foucault kaum vorkommt, stellt sein Werk eine wichtige Annherung an die Medientheorie dar, wie Friedrich Kittler gezeigt hat, in: Michel Foucault: Botschaften der Macht. Der Foucault-Reader. Diskurs und Medien (Stuttgart 1999): 7ff. Die Hauptbegriffe in der Archologie des Wissens, nmlich ănoncŇ und ădiscoursŇ, hei§en wrtlich ăKundgabeŇ und ăVerlaufŇ – sind also keineswegs linguistischer Herkunft.
[3] Siehe Vilm Flusser: Gesten. Versuch einer Phnomenologie (Dsseldorf-Bensheim 1991)
[4] Marshall McLuhan: Understanding Media. The Extensions of Man (Cambridge/Mass-London
1994): 334.
[5] Rgis Debray: Cours de mdiologie gnrale (Paris 1991): 21.
[6] Stefan Weber: Under Construction. Pldoyer fr ein empirisches Verstndnis von Medienepistemologie, in: Mike Sandbothe: Der Vorrang der Medien vor der Philosophie, in St. Mnker, A. Roesler, M. Sandbothe (Hg.): op. cit.: 183. Selbstverstndlich ist dieses Desiderat heute nicht mehr so akut wie vor zehn Jahren. Relativ neue Medien wie Kabel, Film, Fernsehen sind seither lngst und vielfach bearbeitet worden.
[7] Siehe Francis Ponge: Der Tisch. Ein Textauszug. bersetzt und
mit einem Nachwort von Walter Seitter (Klagenfurt 2011). Und hier nenne ich
auch gleich eine neueste philosophische Physik des Tisches: Graham Harman: Der dritte Tisch (Stuttgart 2012)
[9] Die epistemologische
Fundierung der Medienphysik findet sich in Walter Seitter: Physik des Daseins. Bausteine zu einer Philosophie der Erscheinungen
(Wien 1997). In der ăErscheinungs-ZoneŇ finden diverse Vermittlungsaktionen
statt, die wir den ăMedienŇ zurechnen.
[10] Dazu verweist Harman auf den spanischen Philosophen Xavier Zubiri (1898-1983) und dessen Werk Vom Wesen (Mnchen 1968)
[11] Zu neuesten
Titeln siehe Iain Hamilton Grant: Philosophies
of Nature After Schelling (New York u. a. 2008); Graham Harman: Towards Speculative Realism: Essays and
Lectures (Winchester 2010); Levi Bryant, Nick Srnicek, Graham Harman: The Speculative Turn: Continental
Materialism and Realism ( Melbourne 2010); Levi Bryant: The Democracy of Objects (Michigan
2011); Graham Harman: On the Horror of Phenomenology: Lovecraft and Husserl,
in: R. Mackay (Hg.): Collapse Vol. IV: Concept
Horror, Dez. 2012: 332-364.
[12] Daher nenne ich zuletzt ein
aktuelles Werk der philosophischen Medientheorie, dessen Profil demjenigen der Physik der Medien nahekommt: L. Engell, F. Hartmann, Chr. Voss: Krper des Denkens. Neue Positionen der Medienphilosophie (Mnchen
2013) und weise auf meine Arbeit hin, die Historische Mediographie mit
Politischer Anthropologie verknpft: Menschenfassungen.
Studien zur Erkenntnispolitikwissenschaft. Mit einem Vorwort des Autors zur
Neuausgabe 2012 und einem Essay von Friedrich Balke: Tychonta, Zust§e. Walter
Seitters surrealistische Entgrndung der Politik und ihrer Wissenschaft
(Weilerswist 2012)