Walter Seitter
Texte und Bilder zwischen Nehmen und Geben
Klossowskis …konomie der Gabe
Als ich den Katalog dieser
Londoner-Kšlner-Pariser Ausstellung zu Gesicht bekam, hatte ich sogleich den
Eindruck, eines der zentralen BŸcher von Pierre Klossowski habe einen
WiedergŠnger gefunden: La Monnaie vivante – jenes gro§formatige Luxusbuch, das in seinem Titel einen
theoretischen Essay versprach, tatsŠchlich aber den Text in kleine StŸcke
zerteilte, da sich immer wieder gro§formatige Photos und einige ebenso gro§e
Zeichnungen vordrŠngen. Beinahe mit Šhnlicher Konsequenz streut der Katalog
eben jene Theater- oder Filmbilder von Pierre Zucca in oder zwischen seine
sozusagen offiziellen BeitrŠge. Verdankt sich etwa dieses implizite und doch
offensichtliche Wiedererscheinen der Monnaie vivante dem
ãGeistÒ der Finanzmetropole London, die bis jetzt auf ihrer traditionellen und
eigenen WŠhrung insistiert? Jedenfalls mšchte auch ich mit meinem Vortrag an
jenes Klossowski-Buch anknŸpfen und setze daher Grundbegriffe der …konomie in
meinen Titel. La Monnaie vivante
ist ja aufgrund seines Textbestandes ein ãkleinesÒ …konomie-Buch (im
Unterschied etwa zur ãGro§en WirtschaftstheorieÒ des Georges Bataille).
Die Thematik des
…konomischen scheint bei Klossowski vor dem Erscheinen der Monnaie vivante – 1970 – keine gro§e Rolle zu spielen.
Gleichwohl taucht sie in seinen ersten selbstŠndigen Werken auf gut sichtbaren
Umwegen schon auf und schon vorher, anfangend in den Drei§igerjahren, zeigt sie
sich performativ in der †bersetzertŠtigkeit Klossowskis, mit der er sich seinen
Lebensunterhalt erwerben mu§te. Der †bersetzer ist jemand, der dem Publikum
nicht eigene Schriften anbietet und dafŸr honoriert wird, sondern der Texte
anderer Autoren, die bekannter und jedenfalls verkŠuflicher sind als seine
eigenen, bei sich aufnimmt, sie umarbeitet, sie Wort fŸr Wort všllig neu
schreibt, und sie dann an Publikatoren oder Editoren weitergibt und dafŸr Geld
bekommt. Das Aufnehmen bzw. AuswŠhlen der zu Ÿbersetzenden Texte kann mehr oder
weniger kennerisch oder begeistert oder fremdbestimmt sein, es ist immer ein
Empfangen. Der †bersetzer gerŠt von Anfang an die Rolle des Rezipienten, auch
die †bersetzungsarbeit als solche kann sich der Unterordung und dem Dienen kaum
entziehen; doch bringt sie etwas zustande, was es vorher nicht gab, was es in
manchen FŠllen ursprŸnglich nie hŠtte geben kšnnen: etwa die €neis auf franzšsisch. Damit rŸhre ich an eine weitere
škonomische Kategorie, nŠmlich an die der Produktion. Die Produktion kann im
Falle der †bersetzungstŠtigkeit bestimmt nicht in die Versuchung kommen, sich
fŸr eine creatio ex nihilo zu
halten: es kann sich nur um eine Kreation ex aliquo handeln und das aliquid mu§ der †bersetzer von jemandem Ÿbernehmen. Wir
sehen also, da§ in der Beschreibung der †bersetzungstŠtigkeit mehrere
škonomische Kategorien ziemlich unerlŠ§lich sind.
In den Drei§igerjahren hat
Pierre Klossowski auch angefangen, theoretische Essays auszuarbeiten,
vorzutragen, zu publizieren. Sie alle gehen von LektŸren aus, die zumeist
deutlich genannt werden. Insofern schlie§en sie an die Ÿbersetzerischen
Arbeiten an, legen aber eine grš§ere SelbstŠndigkeit in ihr eigenes Tun. Aber
auch sie setzen die Aufnahme von Texten voraus, auch sie bewegen sich in der
PolaritŠt von Nehmen und Geben und wollen diese Tatsache keineswegs
verschleiern oder gar hochmŸtig Ÿberspielen. Die Texte, die Klossowski damals
rezipiert hat, um daraus Anla§ und Inspiration zu eigenen philologischen und
philosophischen †berlegungen und Darlegungen zu beziehen, waren vor allem die
Schriften von Sade und von Kierkegaard und von Nietzsche und von Freud mitsamt
ihren literarischen Umfeldern; sein engeres Pariser Umfeld versorgte ihn
ohnehin mit Šu§erst produktiven zeitgenšssischen Anregungen und
Herausforderungen, sei es mit dem hartnŠckigen Georges Bataille oder mit dem
flŸchtigen Walter Benjamin.
Die Grundsituation der
RezeptivitŠt und das daraus erwachsende GefŸhl des Beschenktseins, dann auch
der Verpflichtung zum Weitergeben und Ÿberhaupt zum Geben – diese PolaritŠt
von Nehmen und Geben hat sich anscheinend im Bewu§tsein von Pierre Klossowski
eingegraben und ihn veranla§t, Verleugnungen dieser PolaritŠt kritisch
wahrzunehmen. Schon in seinem allerersten Essay schreibt Klossowski dem Marquis
de Sade einen negativen Mutter-Komplex zu: seine schlechten Erfahrungen mit
seiner eigenen Mutter hŠtten ihm die Konzeption einer grausamen, einer
bšsartigen Natur eingegeben, an die wir uns anzupassen hŠtten, indem wir das
Bšse weitergeben.[1] Nach dem Zweiten Weltkrieg, d. h. nach
seinen klšsterlichen Experimenten und theologischen Studien, in denen
Klossowski eine zweitausendjŠhrige Texttradition ausfŸhrlich rezipiert hatte,
stellt er den Sade-Komplex in die Tradition der spŠtantiken und zum Teil
frŸhchristlichen Gnosis, welche einen bšsen Schšpfergott fŸr die †bel der Welt
und der Existenz veranwortlich macht. Bei Sade wŸrden sich der Ha§ auf die
Mutter und der Ha§ auf die Materie (welcher das Erkennungszeichen der
manichŠischen Gnostiker ist) deutlich ausprŠgen. Hat die christliche Theologie
das Drama von SŸndenfall und Erlšsung in den Begriffen einer Heilsškonomie
gefa§t, in der sowohl die Schšpfung wie die Erlšsung als gro§e Leistungen
gšttlichen Gebens erscheinen, so haben die Gnostiker umgekehrte Heils- oder
Seinsškonomien entworfen, in denen die Erlšsung durch Reinkarnation oder durch
Entscheidung zur Erkenntnis erreicht werden kann.[2]
Bei genauerem Zusehen sind
die BrŸche im Denken von Klossowski nicht so gro§ wie er sie selber manchmal
betont. Schon im Jahre 1938 hat er von seinen Sade-Studien
geistesgeschichtliche Linien in die SpŠtantike gezogen, in denen škonomische
Begriffe auftauchen, und andererseits politikanalytische Linien, die bis in die
Gegenwart reichen. Darin kritisiert Klossowski eine QualitŠt oder eine Vorstellung,
der eine halb theologische und eine halb škonomische Herkunft anhaftet: die
GratuitŠt, d. h. die Gnadenhaftigkeit oder Kostenlosigkeit. Sade gehšrte zu den
Aristokraten des 18. Jahrhunderts, die von dem sich selber absolut setzenden
Kšnig entmachtet wurden und damit ihre Einbindung in eine mit Gott begrŸndete
Verpflichtungshierarchie verloren. Hielten sie dennoch an ihren Privilegien
fest, so konnten sie ein pures Genu§leben entfalten, eine ãExistenz fŸr sichÒ
oder eine ãgratuite ExistenzÒ, wie Klossowski sagt. Ein grundloses, ein
kostenloses, ein pflichtenloses Existieren, das niemandem etwas verdankt,
niemandem etwas schuldet. Indem sich die Korruption der mittelalterlichen
Hierarchie dann auch noch zum faktischen oder zum erklŠrten Atheismus entschlo§,
ist die Reihe der gratuiten Existenzen eršffnet: absoluter Kšnig, libertiner
Seigneur, souverŠne Nation. Klossowski macht Sade zur zentralen †bergangsfigur
dieser ãgratuiten ExistenzformÒ, deren politische Ausformungen er in den
WeltbŸrgerkriegsparteien des 20. Jahrhunderts ortet – gleichzeitig und
gleichgerichtet etwa mit den Politischen Religionen von Erich Voegelin.[3] Im selben Jahr stellt er Sade in eben
dieser Rolle in die Mitte zwischen Don Juan und Friedrich Nietzsche und
eršffnet so seine Auseinandersetzung mit dem deutschen Philosophen.[4]
Genauer gesagt, er macht aus den drei Figuren eine Seelenwanderungsgeschichte,
er relativiert die abendlŠndische Distinktion der Individuen und bereitet so
auch seine literarische Methode der Personenumformung und Personenverschmelzung
vor.
Auf der Flucht vor dem
Zweiten Weltkrieg geriet Klossowski in turbulente klšsterliche und theologische
Experimente und diesen Lebensabschnitt machte er dann zum Thema seiner ersten
belletristischen Schrift, worin er auch einige der bereits abgehandelten
Probleme wieder aufgriff. Als der Novize in dem Roman, mit dem Pierre
Klossowski sich selber beschreibt bzw. umschreibt, seinem Novizenmeister eine
€hnlichkeit zwischen Christus und Nietzsche erklŠren will, reagiert dieser
empšrt, da er in Nietzsche einen Protagonisten des modernen MŠnnlichkeitswahns
sieht, dessen Auswirkungen sich nicht nur auf die Politik sondern auch auf die
…konomie erstrecken: denn aus dem MŠnnlichkeitswahn sei die Industrie
hervorgegangen, aus der Industrie das Proletariat, aus dem Proletariat die
Entwurzelung, aus der Entwurzelung die Landflucht, die Verwaisung der HŠuser,
die Verelendung, die Revolte der Massen, die unausbleibliche Niederschlagung
der Revolte ...[5] Hier sto§en
wir zum ersten Mal bei Klossowski – aber nicht aus seinem Mund sondern
aus dem Munde eines priesterlichen Nietzsche-Kritikers – auf eine scharfe
Polemik gegen das moderne Wirtschaftssystem, das allerdings nicht
ãKapitalismusÒ genannt wird sondern auf die Industrie als solche zurŸckgefŸhrt
wird. So wird es Klossowski auch spŠter halten. In dem Roman, der zur GŠnze im
kirchlichen Milieu spielt, sind die Vertreter der Kirche keineswegs davor
gefeit, den Versuchungen zu menschenverachtender MachtausŸbung anheimzufallen.
Ja der Novize selber, der um seine Berufung ringt, ist nicht sicher, welches
Motiv ihn wirklich dazu treibt, Priester werden zu wollen und dann auch das
Sakrament der Eucharistie realisieren zu kšnnen: ist es der pure Wille zur
Macht, aus Brot und Wein Fleisch und Blut Christi machen zu kšnnen, oder ist es
ãdas BedŸrfnis, den andern den Leib des Herrn zu gebenÒ?[6] Im einen Fall wŸrde es sich um einen
Wunsch nach magischer MŠchtigkeit handeln, der mit dem industriellen Phantasma,
aus allem alles machen zu kšnnen, nicht ganz unverwandt wŠre, in zweiten Fall
um einen Wunsch, die PolaritŠt zwischen Nehmen und Geben an einem Objekt zu
realisieren, das womšglich noch prominenter wŠre als dasjenige, um das es in
den Gesetzen der Gastfreundschaft geht.
In dieser kompliziert verschachtelten
Romantrilogie, die zwischen 1953 und 1965 erschienen ist, organisiert Octave,
katholischer Kirchenrechtsprofessor und nebenbei Verfasser ziemlich
pornographischer Romane, verheiratet mit der atheistischen Sozialarbeiterin,
Politikerin und Zensurbeauftragten Roberte, sogenannte Gesetze der
Gastfreundschaft, die darauf hinauslaufen, da§ er seine geliebte Frau, um sie
noch mehr, noch vielfŠltiger betrachten und genie§en zu kšnnen, GŠsten des
Hauses zu sexuellen Begegnungen zur VerfŸgung stellt, an denen er sich
voyeuristisch beteiligt. Er ãgibtÒ, was er ãhatÒ, um es noch intensiver
ãempfangenÒ und ãhabenÒ zu kšnnen. Damit werden elementare škonomische
Verhaltenweisen am Ur-Ort des …konomischen, nŠmlich in Haushaltung und Familie,
experimentell auf die Spitze getrieben – was keineswegs idyllisch
ausgeht. Im ersten dieser Romanteile – fŸr ihn hat Klossowski seine
ersten Zeichnungen angefertigt, womit er selber seine Frau bildhaft zur Schau
gestellt hat – im dem zuerst geschriebenen Roman, der in der Trilogie
aber den zweiten Platz einnimmt, werden die Gesetze dieser merkwŸrdigen
Gastfreundschaft zunŠchst durch einen vom Professor in der Diktion
scholastischer Begriffsspalterei geschriebenen EinfŸhrungstext vorgestellt,
dann erklŠrt sie der Professor persšnlich seinem Neffen, den er adoptiert hat
und der alsbald zum Zeugen und zum MittŠter der zusŠtzlichen EnthŸllungen der
Essenz Robertens wird.[7]
Um das scholastische Vokabular mit Leben zu erfŸllen, zitiert Octave einen
gewissen Hochheim und dessen Lehre vom unerschaffenen Intellekt. Diese
ErklŠrungen werden von unheimlichen Gestalten fortgefŸhrt, die sich an Roberte
zu schaffen machen; es sind Gestalten, die einem der wŸsten Romane des
Professors entsprungen zu sein scheinen, und sie zitieren Hochheim als einen,
der sich persšnlich fŸr den Fall Roberte zu interessieren scheint, allerdings
nur intellektuell oder vielleicht therapeutisch. Ich kann Ihnen verraten, da§
ãHochheimÒ der bŸrgerliche Name fŸr einen mittelalterlichen Theologen ist, der
sonst und vor allem in Kšln unter dem Namen ãMeister EckartÒ bekannt ist, da er
hier im Jahre 1328 gestorben sein soll.[8]
Das ist eine weitere Wirkung der freigiebigen Gastfreundschaft, die Klossowski
gewŠhrt, da§ er Personen, die tot sind oder als solche gelten, uns als
lebendige prŠsentiert. Schlie§lich kommt es zu einer heftigen Diskussion
zwischen Octave und Roberte, in der GlŠubigkeit und Atheismus aufeinander
prallen. Und Roberte unterlŠ§t es nicht, die fundamentalškonomischen
Implikationen ihrer Position zu erklŠren: da§ nŠmlich gerade der Verzicht auf
die Annahme eines Weiterlebens nach dem Tod dem irdischen Leben seine
Kostbarkeit, sie sagt seinen Preis, gebe und gegen die Unsterblichkeit der
Seele argumentiert sie quasi mit einem Gegenpostulat der praktischen Vernunft:
das Mitleid, zu dem wir verpflichtet seien, brauche gerade keine Belohnung,
auch nicht in einem Jenseits.[9]
Die theologische Diskussion wird plštzlich durch das Eintreten und Eindringen
des Hauslehrers unterbrochen ....
Im zweiten Teil der
Romantrilogie wird uns die weitere Geschichte dieser Ehe ausschlie§lich aus der
abwechselnden Folge der Tagebuchaufzeichungen einmal von Roberte, einmal von
Octave geschildert. Octave gibt sich hauptsŠchlich einer anderen Leidenschaft
hin, seiner Kunstsammlung und der akribischen Beschreibung manchen GemŠldes.
Seine Reflexionen Ÿber seine spezielle Ehepraxis nehmen melancholische ZŸge an,
immerhin versucht er, sein VerhŠltnis, sein Verhalten zu seiner Frau mit dem
Blick und mit dem Tun des KŸnstlers oder des Kunstfreundes zu vergleichen.[10]
Roberte hingegen emanzipiert ihr ehebrecherisches und prostitutives Sexualleben
zunehmend von den Gesetzen ihres Ehemannes, den sie inzwischen fŸr den Verfasser des ersten Romans hŠlt
und wegen seiner Gesetzgebung mehr und mehr ha§t. Sie denkt daran, sich des
Alten zu entledigen, Octave ahnt etwas von ihren Gedanken und nun wird er
sozusagen der Gehorchende und er stirbt.[11]
Im dritten Roman tritt ein
Mann auf, dessen Biographie an die von Pierre Klossowski erinnert: Leben im
Kloster, dann Ehe mit Roberte, dann der Roman, der diese Ehe, weil sie ihm zu
einfach schien, viel komplizierter darstellt, eben so, wie wir sie aus dem
Roman kennen.[12] Aber dieser
ThŽdore Lacase, so sein Name, obwohl manche ihn mit Pierre Klossowski
verwechseln, bekommt es mit dem Staat zu tun, der von Frauen eine
Schšnheitssteuer eintreibt und Roberte ist in der Klasse 1 eingestuft worden.
Roberte kšnnte sich davon freikaufen, wenn sie in ein spezielles Etablissement
ziehen wŸrde, wo sie zwar zahlender Gast wŠre, aber durch das Empfangen und
GebŠren von Kindern sich auf lange Sicht finanziell sehr gut stellen wŸrde.[13]
Doch diese bevšlkerungspolitische Staatsaktion bleibt Episode; ThŽodore und
Roberte und ihre Freunde veranstalten private TheaterauffŸhrungen, in denen der
erste Roman nachgespielt wird: die Originalpersonen spielen sich selber und
doch kommt es zu echten IdentitŠtszweifeln, DoppelgŠngereien und Konflikten,
die sich schlie§lich in burlesker Heiterkeit auflšsen. Im Katalog dieser
Ausstellung kann man nachlesen, da§ Pierre und Denise Klossowski in den spŠten
FŸnfzigerjahren tatsŠchlich mit mehreren Freunden zusammen immer wieder
versucht haben, den ersten Roberte-Roman nachzuspielen, wobei Denise als
TrŠgerin der Hauptrolle sich nicht recht in diese Rolle hineinfinden mochte
– und eben das fŸhrte dazu, da§ die Theaterspiele sich in Lachen
auflšsten. Gleichzeitig schrieb Pierre Klossowski den zweiten und den dritten
Roman.
Die Gesetze der
Gastfreundschaft haben also insgesamt mehrere AusgŠnge, die schon zeigen, da§
es sich um eine ziemlich ãunmšglicheÒ Konstruktion handelt, daher eben mehrere
Romane, daher die erbitterten Diskussionen in den Romanen und daher auch die
nachtrŠglichen Reflexionen, die Klossowski den Gesetzen beigegeben oder
nachgeschickt hat.
Die Romantrilogie scheint
gegenŸber dem als real vorauszusetzenden Ehe- und Schriftstellerleben Pierre
Klossowskis ein hohes Ma§ an Komplizierung, †bersteigerung und Chaotisierung zu
suggerieren, ein †berma§ an VervielfŠltigungen und Verwirrungen, deren Kern
sich allerdings auf zwei VervielfŠltigungen reduzieren: VervielfŠltigung des
Ehemannes und Liebhabers durch komplizenhafte Zusatzliebhaber oder
–vergewaltiger und VervielfŠltigung seiner Ehefrau durch deren erotische
und sexuelle Reaktionen und Aktionen. Beide sollen den Rahmen der Monogamie
angeblich nicht Ÿberschreiten: die zweite VervielfŠltigung soll ja auch nur die
eine Roberte ãkomplizierenÒ, wertvoller und interesssanter machen und dem
Ehemann eine sozusagen imaginŠre PolygynŠkie bescheren, wŠhrend die erste
VervielfŠltigung der Ehefrau eine faktische Polyandrie auferlegt, welche
allerdings angeblich von ihrem einzigen Ehemann gesteuert sein soll. Die Regeln
dieser sonderbaren EhefŸhrung sollen also entgegen dem Anschein am Gesetz der
Monogamie festhalten: insgesamt eine paradoxe, schwer mitteilbare und kaum
konsequent durchfŸhrbare Konstruktion. Aber eine Konstruktion, mit der sich und
aus der sich viel Text- und Bildproduktion machen lŠ§t. Das hat Klossowski
getan. Er hat gegeben, wir kšnnen nehmen.
Im Gegensatz zu der
beschriebenen VervielfŠltigungsstrategie
behauptet Klossowski, die erste Voraussetzung fŸr sein Schreiben sei
eine bestimmte Monomanie gewesen: er habe nŠmlich aus seinen Erfahrungen mit seiner
Ehefrau durch einen Abstraktions- und Verdichtungsvorgang einen einzigen
selbstgenŸgsamen Gedanken gebildet, der sich sogleich auf das ãeinzige ZeichenÒ
reduziert habe. Dabei handle es sich um eine ãBezeichnung der
UrsprungsintensitŠtÒ, genauer genommen um eine pure IntensitŠt, die sich selbst
bezeichnet und darŸber auch dann auch alles andere bezeichnet.[14]
FŸr ihn ist der Name Roberte dieses
Superzeichen geworden, wobei zum Namen auch die Physiognomie und die damit
verbundenen Ereignisse und Aussagen gehšren. Klossowski sagt, da§ Roberte selber
zum Zeichen, zum ãalleingŸltigen ZeichenÒ geworden ist, von dem ein Zwang
ausgehe, der ihn entweder in den Wahnsinn treibt oder bzw. und zu einer
Lebensform fŸhrt, nŠmlich zu den Gesetzen der Gastfreundschaft. Dem
Superzeichen der UrsprungsintensitŠt stehen die Alltagszeichen der
GeschŠftswelt gegenŸber, in der Roberte – die Roberte der Romane –
mit allen ihren subtilen OberflŠchen zu einem Artikel, zu einer Ware
merkantilisiert wird. Aber auch das Superzeichen hat seinen škonomischen Aspekt:
als Zeichen fŸrs Unbezahlbare nimmt es die Position des Goldes ein.[15] Damit liefert Klossowski das Stichwort
fŸr das VerstŠndnis seines sogenannten Geld-Buches, auf das ich gleich zu
sprechen kommen werde.
In der Romantrilogie und
in ihrem Umfeld, wozu sowohl der Schriftsteller Pierre Klossowski wie auch der
Zeichner-Maler Pierre Klossowski und die Zeichnungen-GemŠlde gehšren, wird
Roberte als ein Gut betrachtet und behandelt, das besessen, das gehabt wird.
Ihr Gehabtwerden wird dadurch dramatisiert, da§ sie auch gegeben wird und
genommen wird, was ihr Gehabtwerden einerseits intensiviert, andererseits auch
gefŠhrdet. Da sich ihr Gehabtwerden bei allen Turbulenzen doch mehr oder
weniger im Rahmen der Familie abspielt, ist ihr Schicksal doch nur eine
Verdeutlichung der Tatsache, da§ das Haben zwischen Menschen – ein Mensch
hat einen anderen Menschen – nach wie vor in der Familie einen wichtigen
Ort hat. Nun ist das Haben auch eine Grundkategorie der …konomie, es ist
sozusagen die mehr oder weniger ruhige Mitte zwischen dem Nehmen und dem Geben,
welche die horizontale Achse des …konomischen bilden, die von der vertikalen
Achse zwischen Konsumieren und Produzieren zu unterscheiden ist. Und das Haben
kann auch zwischen Produzieren und Konsumieren als relativ ruhige, oft aber
auch flŸchtige Phase betrachtet werden. Was nun die Familie betrifft, so gilt
sie heute nicht mehr als ein Hauptort der Produktion. Aber eins mu§ man ihr
lassen: ihre begriffliche oder sonstige Existenz ist immer noch mit einer
Produktion verbunden, mit der Produktion von neuen Menschen, die man Kinder
nennt, und wenn die einmal da sind, dann definieren sie den Ort, an dem sie
entstanden sind und an dem sie versorgt werden, als Familie (abgesehen von
Ausnahmen wie Heim, Spital odgl.). Von Familie spricht man, wo jemand, also
eine oder zwei oder drei erwachsene Personen, ein oder zwei oder mehr Kinder
bekommen haben, bekommen kšnnten. Und wenn man sie bekommen hat und wenn sie
noch immer da sind, dann hat man sie.
NatŸrlich kann man sich
fragen, ob in diesem wie auch im vorigen Fall zurecht von Haben gesprochen
werden kann. Ob etwa das Haben von Menschen durch Menschen ein gleichartiges
Haben sein kann wie ein Haben von Sachen durch Menschen. Aber wenn wir die
Frage einmal vorlŠufig und ungefŠhr mit Ja beantworten, dann folgt daraus, da§
auch Menschen Hab und Gut sein kšnnen, da§ sie Besitztum sein kšnnen, da§ man
sie als GŸter betrachten und schŠtzen und auch einsetzen kann.
In seinem relativ schmalen
aber ŸbermŠ§ig dicht geschriebenen Text La monnaie vivante, welcher Text in der Originalausgabe (Paris 1970)
allerdings zwischen den vielen gro§en Film- oder Theaterfotos beinahe
verschwunden ist, weshalb er bis jetzt auch fast nicht gelesen worden zu sein
scheint, erklŠrt Pierre Klossowski schon im zweiten Satz mit der grš§ten Ruhe
den Menschenkšrper zu einem Gebrauchsgut.[16]
Also nicht blo§ zu einem Gut Ÿberhaupt, sondern zu einem solchen, das von
jemandem gebraucht, verwendet, benŸtzt werden kann, das Gegenstand von Besitz
also VerfŸgung und daher wohl auch Eigentum sein kann. Diese harten
Implikationen werden von Anfang wieder zurŸckgenommen, da vom ãeigenen KšrperÒ
die Rede ist, womit gemeint sein kšnnte, da§ der menschliche Kšrper nur fŸr den
betreffenden Menschen selber verwendbar und besitzbar ist; die befŸrchete
Abwertung des Menschenkšrpers sei also nur ein Moment im SelbstverhŠltnis je
eines Menschen, womit sie zwar nicht aus der Welt geschafft aber doch stark
eingegrenzt wŠre. Nun schwŠcht der Text seine ZurŸcknahme gewisserma§en gleich
ab: der eigene Kšrper sei nŠmlich ein Gebrauchsgut, insofern man ihn im
Hinblick auf den Eigenkšrper eines anderen Menschen einsetzt; damit wird also
der Nebenmensch zum Ma§stab des eigenen Kšrperverhaltens erklŠrt. Eben dies
wird auf der folgenden Seite mit einer drastischen Wendung vor Augen gestellt,
die durch die historische Komparatistik kaum abgeschwŠcht wird: es gab einmal
die Sklaverei, die bestand darin, da§ man den Eigenkšrper des anderen schlicht
und einfach benŸtzte, nŠmlich so einfach, da§ so eine Benutzung heute als
unproduktiv gilt (Ÿbrigens bestand die echte Sklaverei darin, da§ man die
Sklaven in die Gro§familie integrierte); heute hingegen wŸrde man jedwedes Gut
– ob Menschenkšrper oder Erde - gemŠ§ einer quantifizierenden
Effizienzevaluierung einsetzen.[17]
D. h. am Prinzip der BenŸtzung der einen Menschenkšrper durch andere habe sich
wenig geŠndert. Nun kann man sagen, das klingt nach einer pessimistischen oder
anklagefreudigen Geschichtsauffassung, die das Gegenteil ihrer Behauptungen
einklagen mšchte. Auch wenn an so einer Deutung etwas dran sein kšnnte, setzt
Klossowski die einmal eingeschlagene Behauptungsrichtung fort und radikalisiert
sie. Jetzt wird nŠmlich sogar dem menschlichen Seelenleben ein eigentlich
merkantiler, d. h. waren- und marktfšrmiger Charakter zugesprochen: die Triebe
und die Phantasmen, diese psychischen KrŠfte, die Klossowski pathe – also Leiden, Leidenschaften – nennt,
das sind die inneren NutzgŸter, die Ressourcen, aus denen die schšpfen, die
kreativ sind. Diese psychischen KrŠfte und ReichtŸmer sind also notwendige
GebrauchsgŸter, in gewissem Sinn sogar VerbrauchsgŸter (aber mit Aussicht auf
Nachschub).[18] Mit dieser
frappanten Merkantilisierung des Innersten des Menschen folgt Klossowski nicht,
jedenfalls nicht ausdrŸcklich, irgendeiner neueren zynischen AufklŠrung. Im
Gegenteil, er behauptet, er verdanke diese Sicht der Dinge einem alten
archaischen, im Grunde genommen heidnischen Wissen, das in der Moderne
vergessen worden sei. Vor allem die neuzeitliche Kunst, jedenfalls die sogenannte
reine oder freie Kunst, habe sich ein Schšpfertum zugesprochen, das irgendwie
aus dem Nichts komme. Hier setzt Klossowski den Begriff der GratuitŠt wieder
ein und der steht fŸr etwas, was mehr Illusion ist als Wirklichkeit, auch wenn
es Auswirkungen auf die Wirklichkeit hat, z. B. auf die Kunst. ãDie ganz
moderne Ansicht von der GratuitŠt der KunstÒ laufe darauf hinaus, die
NŸtzlichkeit der psychischen Ressourcen zu leugnen, zu denen auch die
Phantasmen gehšren, die den Trieben sozusagen ihre Sachgehalte liefern und
andererseits von ihnen verwendet und eingeschŠtzt werden: den Phantasmen wird
ein Preis zugesprochen, im Falle der Perversion werden sie als unerschwinglich
und unaustauschbar eingeschŠtzt[19].
Offensichtlich erklŠrt
Klossowski die psychischen KrŠfte unter der Voraussetzung zu GebrauchsgŸtern,
da§ er dabei ihren ãEigengebrauchÒ im Auge hat: das Individuum greift auf seine
KrŠfte so oder so zurŸck, setzt sie so oder so ein, um bestimmte Ziele zu
erreichen. Und Klossowski fŸhrt diese seine Auffassung auf archaische Wissen
zurŸck, in denen allerdings die SeelenkrŠfte als Einwirkungen Šu§erer MŠchte
betrachtet werden. Andererseits versŠumt er nicht, noch einmal darauf
hinzuweisen, da§ seine Auffassung auch von der modernen Industrie bestŠtigt oder
gar Ÿberboten wird: denn deren Prinzip sei es, ãda§ jedes menschliche PhŠnomen,
wie jedes natŸrliche PhŠnomen auch ... als ausbeutbares Material behandeltÒ
wird und folglich auch schrankenlos gewertet und umgewertet und experimentell
verŠndert wird.[20] Das aber hei§t, da§ fŸr die Industrie
alles und jedes als brauchbar verwendet oder aber als unbrauchbar verworfen
werden kann.
In der Industrie geht es
sicherlich nicht blo§ um den Selbstgebrauch eigener KrŠfte. Und au§erdem ist
doch nicht ganz sicher, ob die Ausbeutungsbereitschaft, die Klossowski (und
nicht nur er!) ihr zuschreibt, qualitativ dem Gebrauch gleicht, der in Šlteren
oder in anderen Kulturen praktiziert wird.
Mein erstes Erstaunen in
der LektŸre der Monnaie vivante
galt dem Umstand, da§ Klossowski auch die Menschen oder wesentliche
Menschenbestandteile als GŸter, ja als GebrauchsgŸter bezeichnet und so einer
schrankenlosen ã…konomisierungÒ des Menschen Vorschub zu leisten scheint.
Wenden wir uns nun der
Frage zu, welche anderen Sachen er ausdrŸcklich als GebrauchsgŸter bezeichnet,
so fŠllt die Antwort zunŠchst einmal trivial und eigentlich tautologisch aus.
Es sind die menschlichen Erzeugnisse, die Artefakte, die deswegen erzeugt
werden, weil sie von jemandem gebraucht werden, weil sie zu etwas nŸtzlich
sind. Also die GebrauchsgegenstŠnde. Innerhalb dieser nŸtzlichen GegenstŠnde
nimmt er wieder die Unterscheidung vor, die er auch beim Gebrauch der
Menschenkšrper vorgeschlagen hatte. Es gibt GebrauchsgegenstŠnde, deren
Herstellung und deren Einsatz relativ schlichten Traditionen folgen: man macht
die Sache, so wie man sie immer gemacht hat, ohne das VerhŠltnis von Aufwand
und Ergebnis stŠndig zu ŸberprŸfen; man hat bisher ganz gute Erfahrungen damit
gemacht und daher bleibt man dabei. Dieses System von Objekten hei§t ãBrauchÒ;
Klossowski setzt dieses System, obwohl es eher der Vergangenheit zuzuordnen
ist, soweit als bekannt voraus, da§ er kein Beispiel dafŸr nennt (das hat in
nostalgischer Weise ohnehin Heidegger getan). Das andere System von GebrauchsgegenstŠnden
ist durch Kosten-Nutzen-Rechnung sowohl bei der Herstellung wie beim Einsatz
der GerŠte gekennzeichnet und Klossowskis Beispiel fŸr diese Sorte von
hocheffizienten GebrauchsgegenstŠnden ist die Atombombe. Die Entwicklung und
Erprobung von Atombomben ist bekanntlich ein komplizierter und kalkulierter
Proze§, in dem viel Verschwendung (Verschwendung ist ein milder Ausdruck)
anfŠllt und Šhnlich geht es bei der Fabrikation von Automobilen, Pharmaka und
Parfums zu. Die industrielle Fabrikation verstrickt sich, so meint Klossowski,
in einen flagranten Widerspruch zwischen Kalkulation und Verschwendung –
allerdings schlie§en sich die beiden Seiten gar nicht aus sondern ein.[21]
Der industrielle
Gebrauchsgegenstand, der auf hšchste Effizienz getrimmt ist, ist voller
WidersprŸche erstens, weil er die Verschwendung doch nicht vermeidet, und
zweitens weil er auch den anderen Aspekt, den die industrielle Produktion
eigentlich Ÿberwinden wollte, nŠmlich das blo§e Bild, nicht wirklich abschafft.
Unter dem Bild ist eine Erscheinung zu verstehen, die eine bestimmte Sache gar
nicht ist sondern blo§ abbildet bzw. vortŠuscht und trotzdem gewisse Effekte
erzielt. Da§ ein blo§es Bild Effekte erzielt und daher die Herstellung solcher
Bilder, auch wenn sie aufwendig ist, sinnvoll, auch škonomisch sinnvoll sein
kann, das hat man, so Klossowski, im Laufe der Geschichte, die sich fŸr
fortschrittlich hŠlt, immer wieder vergessen oder vielmehr verdrŠngt:
Abschaffung der Gštterbilder schon in alten Kulturen und relative Entwertung
von Darstellungen im Zuge ihrer industriellen Produktion. Damit sind wir bei
dem Begriff Simulacrum , dem
eigentlich zunŠchst nichts Mysterišses anhaftet, denn er bezeichnet jedwede
Darstellung, jedenfalls gelungene Darstellung irgendeiner Sache, und zwar eine
Darstellung, von der eine Wirkung ausgeht. In der industriellen Produktion
liegt die Tendenz, sich nicht mit Ersatzmitteln und Umwegen aufzuhalten sondern
nur hšchst wirksame Sachen hšchst effizient einzusetzen. Anstatt blo§er
Abbildungen von angeblich sehr mŠchtigen Instanzen wie Gštter oder DŠmonen hat
man sich im 20. Jahrhundert darauf verlegt, sehr wirksame Sachen wie zum
Beispiel Automobile und Atombomben zu erzeugen. Damit aber hat man, meint
Klossowski, die Bilder nicht wirklich vermieden sondern nur verschoben. Denn
die Wirksamkeit der Atombombe liegt hauptsŠchlich – soll man sagen
hoffentlich? – in der Behauptung ihrer Existenz bzw. ihrer
Einsetzbarkeit, also in ihrer Simulation, mit der sich immerhin ganz schšne
Erpressungen und Abschreckungen erzielen lassen. Klossowski sagt, auch die
GebrauchsgegenstŠnde wirken, weil sie auch Simulakren sind.[22]
Das gilt nicht nur fŸr die Atombombe, die ja im Moment wieder eine derartige
AktualitŠt bekommen hat, das gilt auch fŸr die total friedlichen Automobile,
die unsere Welt als sehr wirksame Zeichen bevšlkern: Zeichen fŸr
Jugendlichkeit, Zeichen fŸr Reichtum usw.. Es gab einmal eine Kultur, in der
die dominanten Simulakren Poseidone und Aphroditen waren; und es gibt eine
Kultur, in der Porsches sich zeigen wollende und Atombomben einerseits wohl
verkŸndete andererseits sich versteckende Simulakren sind.
Einen nicht ganz so
riesigen historischen Kontrast zeichnet Klossowski, wenn er zwischen
handwerklichen und industriellen Suggestionsmitteln unterscheidet.
ãSuggestionsmittelÒ ist ein sehr guter Ausdruck fŸr das, was wir zumeist
Informationstechniken oder auch Medien nennen. Als handwerkliche
Suggestionsmittel nennt er das GemŠlde, das Buch mit kleiner Auflage und das
Theater; als industrielle Suggestionsmittel die Werbung, die Printmedien und
den Film. Den Unterschied zwischen diesen beiden historischen Medienstufen
sieht er nicht im Technischen sondern im strikt …konomischen: die
handwerklichen Suggestionsmittel sind selten und kostbar; die industriellen und
massenhaft verteilten sind tendenziell gratis und wertlos; sie sind so wertlos,
wie sie es nach unserem normalen, auch von MacLuhan ironisch fŸr normal
erklŠren MedienverstŠndnis sein sollten, da sie ja blo§e Mittel seien. Die
handwerklichen Darstellungen hingegen bringen das KunststŸck fertig, da§ sie
tendenziell kostbarer sind als die dargestellte Sache selbst – obwohl die
dargestellten Sachen oftmals sehr hochgeschŠtzte ja verehrte Wesen sind wie
etwa Poseidon oder Aphrodite oder Maria.[23]
Im vorindustriellen System ist ein gutes Marienbild ein sogenanntes Gnadenbild,
d. h. von ihm selber geht die Wirkung aus, die man zwar ãtheoretischÒ der Maria
zuschreibt, aber ausgehen tut die Wirkung von diesem Bild da, das ist erwiesen
und deshalb ist dieses Bild da so kostbar, wŠhrend die Maria selber, die ist ja
irgendwie gar nicht da .... Deshalb der Bilderkult und der Reliquienkult auch
noch in der christlichen Religion bis in die frŸhe Neuzeit hinein. Erst ab dem
19. Jahrhundert setzt sich dann die neue Ordnung durch, derzufolge der
Gegenstand kostbarer ist als die Darstellung. Auch die katholische Religion hat
diesen Umschwung mitgemacht: im 19. Jahrhundert setzen die anerkannten
Marienerscheinungen ein, deren Massenwirksamkeit durch Gipsfiguren und Papierbildchen
unterstŸtzt wird. Gleichzeitig hat die Kirche den selbstverstŠndlichen Kontakt
mit den KŸnstlern bereits verloren. Ende des kostbaren Kultbildes.
Nur zwei Sorten von
Simulakren sind ihrer Entwertung durch die Aufwertung des Gegenstandes und durch
ihre eigene stereotype Massenherstellung entgangen: das Kunstwerk, das sich
dieser Herstellungsweise mehr oder weniger entzieht, und das Geld, das sich ihr
keineswegs entzieht (vielmehr hat es die Sterotypie erfunden) und trotzdem
seinen Wert behŠlt: denn es ist seiner Definition gemŠ§ die Realunion aus
Zeichen fŸr Reichtum und selber Reichtum oder wenn man es etwas moderner fa§t:
Wertzeichen und WerttrŠger.
Diese Doppelnatur des
Geldes fŸhrt dazu, da§ es in verschiedenen Rangstufen auftritt, fŸr die Klossowski
verschiedene Bezeichnungen einsetzt. Die niedrigste Geldstufe hei§t im
Franzšsischen numŽraire – das
hei§t wšrtlich ãZahlendingÒ oder ãZahlenwesenÒ. Die Zahl ist ein wesentlicher
Faktor bei der Konstitution des Geldes; sie tritt umso mehr in den Vordergrund,
als sein natŸrlicher oder anderweitiger Gebrauchswert sich abschwŠcht.[24]
Der deutsche Ausdruck fŸr diese Geldstufe ist ãBargeldÒ. Von ihm sagt
Klossowski, da§ es den reprŠsentierten Wert neutralisiert: es vernichtet die
reale und lebendige Gegenwart. Der franzšsische Hauptbegriff fŸr ãGeldÒ hei§t argent.
Dieses Geld ist ein €uquivalent
der ReichtŸmer, das die Wahl zwischen ihnen ebenso offen lŠ§t wie die Wahl
zwischen einem zu erwerbenden Reichtum und einem Aufschub der Ausgabe , eben
deswegen bedeutet es die Zerstšrung der ReichtŸmer, wŠhrend es den Wert
bewahrt.[25] An dieser
Stelle erweist Klossowski den Wertbegriff als ein Resultat der Dekadenz des
Reichtums, die sich dem Geld verdankt. Der hšhere Begriff des Geldes hei§t bei
Klossowski monnaie. Dieses Wort
bedeutet normalerweise ãMŸnzeÒ oder ãWŠhrungÒ. Klossowski meint damit ein Geld,
das nicht aufgrund blo§er Konvention einen Wert hat bzw. einen Reichtum
darstellt sondern aufgrund tiefsitzender GefŸhle – selbst wenn ihm kein
Gebrauchswert zugesprochen wird. Klossowski denkt vor allem ans Gold in seiner
Funktion als Etalon oder WŠhrungsstandard, als Fundament fŸr den Wert des
gewšhnlichen Geldes.[26]
WŠhrend im gewšhnlichen Geld seine beiden Aspekte – Wertzeichen und
WerttrŠger – entgegen dem Anschein wunderbarerweise zusammenkommen und
diese Aspekte durch seinen Gebrauch bzw. Nicht-Gebrauch jederzeit geschieden
werden kšnnen, realisiert die GoldwŠhrung jederzeit einen Reichtum im vollen
Sinn: als enge Einheit zwischen Reichtum und Reichtumszeichen, als Zeichen, das
selber Reichtum ist.
Diese EntitŠt, die vom
alten Gštterbild prŠfiguriert worden ist, welches ein gšttlich wirkendes Bild
war, stellt fŸr Klossowski in der heutigen Zeit, in der das Geld mit seiner
zweideutigen MŠchtigkeit zwischen Aufbau und Zerstšrung zur herrschenden Macht
geworden ist, die Ebene dar, die, wenn sich Menschen zu ihr erheben kšnnten,
die škonomische Menschengeschichte auf eine neue Stufe
heben kšnnte. Nachdem die Menschen Sklaven gewesen waren und dann
ArbeitskrŠfte, die fŸr Geld arbeiten, hat ein teilweise neuer Typ von
ArbeitskrŠften, der von den Prostituierten Ÿber die Hostessen und Models bis zu
den Filmstars reicht, den Verkauf der eigenen persšnlichen Reize zu seiner
Lebensform gemacht. Auch diese Personen, die Klossowski als ãindustrielle
SklavinnenÒ bezeichnet, lassen sich mit dem Ÿblichen gewšhnlichen Geld zahlen
und bewahren ihre persšnliche IntegritŠt und Freiheit. Allerdings nur in dem
Ausma§ und Umfang, in dem die Gesetze des Marktes ihnen das ermšglichen. Nur
wenn sie nicht blo§ Geld bekŠmen, auch nicht blo§ als Ware oder als Kapital
oder als Zahlungsmittel betrachtet wŸrden sondern als neuartiges Simulakrum von
WŠhrungsstandard oder Goldreserve, das den Wert des Geldes Ÿberhaupt erst
sichert, dann wŠren Menschen gegeben, die unter den heutigen UmstŠnden WŸrde
hŠtten. Realunionen aus Reichtum und Zeichen und Lebendigkeit. Zeichenwerdung,
Geldwerdung, Goldwerdung von Menschen. Menschwerdung des Zeichens, des Geldes,
des Goldes. Ob es sich um eine Neufassung des christologischen oder des
nietzscheanischen Projekts handelt, sei dahingestellt. Klossowski hat es
theoretisch skizziert und gleichzeitig als unmšglich, als ãunlebbarÒ
hingestellt. In seiner Romantrilogie hat er es ausfŸhrlich vorbereitet, wo das
Superzeichen Roberte ãseinen Goldwert nur als Zeichen des Unbezahlbaren
aufwiegtÒ.[27]
Klossowskis
Wirtschaftsdenken schlŠgt einen Weg ein, auf dem das gegenwŠrtig herrschende
Wirtschaftssystem problematisiert wird und aus dieser Problematisierung eine
rŠtselhaft-unmšgliche Lšsung vorgeschlagen wird. Eine andere Richtung dieses
Denkens reflektiert die eigene Situation unter škonomischen Gesichtspunkten.
Auf diese eigene und
lebbare …konomie Klossowskis will ich abschlie§end kurz eingehen.
Der …konomie-Traktat richtet sich gegen die ãangebliche GratuitŠt der AustauscheÒ.[28] Aber dennoch nimmt auch er eine Stelle an, von der der Kreislauf des Gebens und Nehmens ausgeht und an der zunŠchst einmal gratis gegeben wird: ãGratuitŠt besteht (scheinbar) darin, etwas zu genie§en, was keinen Preis hat oder Genu§ ohne Bezahlung gewŠhrt: 1) Der absolute EigentŸmer denkt nicht daran, das, was ihm gehšrt (und seinen unschŠtzbaren Preis eben aus diesem Besitz zieht) gegen etwas anderes auszutauschen. Wer ist der absolute EigentŸmer? Die ÈGottheitÇ oder Èdas unerschšpfliche LebenÇ (jedem nach seinem Ma§ gegeben) – das Bild der Èlebensspendenden SonneÇ. 2) Aber was allen und jedem am Anfang unterschiedslos und gleicherma§en gegeben ist, hat – da alle es unmittelbar haben kšnnen – nicht nur keinen Preis, sondern es wird auch gratis gegeben und ausgetauscht; wie etwa physiologisch der Fortpflanzungstrieb und die Empfindungen, die seiner AusfŸhrung vorausgehen (Wollust). 3) Das ÈLebenÇ jenseits des Preises, ohne Preis gratis gegeben, empfangen und gelebt, hat an sich keinen Preis. Ohne Wollust ist es nichts wert. Auch die Wollust und die FŠhigkeit, sie zu empfinden, ist jedem gratis gegeben: auch sie hat keinen Preis.Ò[29]
So formuliert Klossowski mehr oder weniger theologisch – noch immer in seinem …konomie-Traktat – die ursprŸngliche Gebung, deren EmpfŠnger jedes irdische Wesen ist. Allerdings kann es kein Wesen ertragen, nur zu empfangen und gar nicht zu geben. Dann wŸrde es nie selbstŠndig werden, es wŠre nur Produkt und AnhŠngsel des Gebers, es wŸrde gar kein Wesen sein. Die †bermacht des ersten Gebers wŠre total und ebenso die Ohnmacht des EmpfŠngers.[30] Diese Annahme fŸhrt Klossowski zu seiner Kritik an der Verallgemeinerung des Gratis-Denkens, die, wie wir gesehen haben, sich auch aufs Politische bezieht. Jean Baudrillard hat den Gedanken in dem von ihm so genannten ãsymbolischen AustauschÒ gefa§t und ebenfalls ins Politische gewendet.[31]
Klossowski lŠ§t sich von seiner Annahme zu seinem Denken der Kunst fŸhren, das ein zutiefst škonomisches ist. ãDer Ursprung des Schaffens beim Menschen ist das BedŸrfnis, seine Existenz zurŸckzukaufen. Es gibt eine solche †berfŸlle, die ihm angeboten ist, da§ sie ihn zermalmt, wenn er nicht eine Entgegnung auf diesen Reichtum findet, der ihn erdrŸckt. So sucht er bestŠndig ein €quivalent jenes Reichtums zu schaffen.Ò[32]
Das ist die heilsškonomische Positionierung des Kunstwerks als Gegengabe, die sich allerdings durch eine spezifische QualitŠt zu bewŠhren hat. Und die liegt darin, da§ das Kunstwerk immer noch eine gewisse Leistung des Kultbildes zu erbringen hat, die Leistung des antikischen Simulakrums, welches ein Wesen mitsamt seiner †bernatur darstellt. Denn ãsobald ein Wesen existiert, existiert eine †bernatur.Ò Und andererseits, so Klossowski gemŠ§ seinem handschriftlichen Nachtrag von 1985 ãerscheint die †bernatur nie anders als unter den materiellen Gestalten des Simulakrums; dieses vermag auf den Betrachter wahrhaft zu wirken nur kraft einer RealprŠsenz, die – ex opere operato – das angefertigte Werk immer Ÿbersteigt. Daher das unaufhšrliche Neuanfangen des Werks – ad infinitum.Ò[33]
Wenn der KŸnstler seinem Werk diese QualitŠt verleiht, so kann er das nur als einer, der Empfangenes weitergibt, beziehungsweise unter dem Zwang eines Diktats, einer Obsession.[34] Folglich gibt er, wenn er das Bild abgibt, etwas, was gar nicht von ihm ist, jedenfalls nicht nur von ihm, und trotzdem darf er fŸr das Mehr, das er liefert, auch ein Mehr bekommen: in Geld darf er mehr bekommen, als er zum Leben braucht. Er darf wie der ungetreue Verwalter des Evangeliums aus dem, was nicht ihm gehšrt, Gewinn ziehen. Nur wenn ihm diese Mšglichkeit gegeben ist, verhindert er eine všllige Entwertung seiner Werke in den Augen der Leute.[35] Allerdings, so fŸge ich hinzu, mu§ das Entgelt in Geldform nicht die einzige Form der Anerkennung und der Gegengabe sein, die dem KŸnstler zuteil werden. Wenn man ihm eine Ausstellung, eine Tagung, einen Vortrag oder ein intensives Schauen widmet, sind das auch Gegengaben. Auch Empfangen ist eine Leistung.
Im Ÿbrigen vermute ich, da§ die verschiedenen Wege in Klossowskis škonomischem Denken doch enger zusammenhŠngen oder vielleicht sogar zusammenfŸhren als ich das heute darstellen konnte. Aber dazu wird man noch weiter nachlesen und nachdenken mŸssen. Oder gibt es etwa noch eine andere Methode, um der Sache nŠherzukommen?
[1] Siehe Pierre Klossowski: ƒlements dÕune Žtude
psychanalytique sur le marquis de Sade (1933), in: ders.: ƒcrits dÕun
monomane. Essais 1933-1939 (Paris
2001): 29ff.
[2] Siehe Pierre Klossowski: Sade mon prochain prŽcŽdŽ
par Le philosophe scŽlŽrat (Paris
1967). 141ff., 186ff.
[3] Siehe Pierre Klossowski: ƒcrits dÕun monomane.
Essais 1933-1939 (Paris 2001):
188ff.; Erich Voegelin: Die politischen Religionen (Wien 1938, MŸnchen 1993)
[4] Siehe Pierre Klossowski: CrŽation du monde (1937), in:
ders.: op. cit.: 97ff.
[5] Siehe Pierre Klossowski: La Vocation suspendue (Paris 1950): 34.
[6] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 98, 105.
[7] Siehe Pierre Klossowski: Die Gesetze der
Gastfreundschaft (Berlin 2002):
141ff.
[8] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 161ff.
[9] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 189.
[10] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 62.
[11] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 114.
[12] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 223.
[13] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 231ff., 245ff.
[14] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 35ff., 369ff.
[15] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 37f.
[16] Siehe Pierre Klossowski: Die lebende MŸnze (Berlin
1998): 9.
[17] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 10
[18] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 11, 13.
[19] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 18f.
[20] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 20f.
[21] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 7, 10ff.
[22] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 7, 12.
[23] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 20ff.
[24] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 23.
[25] Siehe Pierre Klossowski in: Jean-Marie Monnoyer: Le
peintre et son dŽmon (Paris 1985):
238; Pierre Klossowski: op. cit.: 71.
[26] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 86.
[27] Siehe Pierre Klossowski: Die Gesetze der Gastfreundschaft (Berlin 2002): 38.
[28] Siehe Pierre Klossowski in: Jean-Marie Monnoyer: Le peintre et son dŽmon (Paris 1985): 241.
[29] Pierre Klossowski: op. cit.: 64f.
[30] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 65f.
[31] Siehe Jean Baudrillard: Der Terror und die anderen
Spielregeln, in: Der Standard (7.
Dezember 2002); ders.: Der unmšgliche Tausch (Berlin 2000): 168ff.
[32] Pierre Klossowski: Die €hnlichkeit (Bern-Berlin 1986): 120.
[33] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.:
116ff.; an dieser Stelle bemerke ich, da§ Guillaume Apollinaire schon 1912, lange bevor er den Begriff
ãSurrealismusÒ erfunden hat, Chagalls frŸhe Bilder als ãŸbernatŸrlichÒ
bezeichnet hat. Versteht man unter Surrrealismus
einen hšheren Realismus, so trifft sich Pierre Klossowski darin mit vielen Malern
des 19. und 20. Jahrhunderts. Siehe dazu meine AufsŠtze: Sehen, geben. Pierre
Klossowskis analytische Wandmalerei, in: Pierre Klossowski: Anima (Wien-Basel-Frankfurt 1995);
Parallelaktionen, in: Ars Borealis. Edition zur zeitgenšssischen Kunst im
Norden: Siegward Sprotte (Kiel 2003)
[34] Siehe Pierre Klossowski: op. cit.: 111.
[35] Siehe Pierre Klossowski in: Jean-Marie Monnoyer: Le peintre et son dŽmon (Paris 1985): 236.