Sektion Ästhetik
2000/2001

Walter Seitter, Gottfried Hinker, Ralf Rother Die Falte. Ein Element barocken Denkens?
Ulrich Gansert Über die Innovation in der Kunst und in der Kultur
Mit einem Blick auf Boris Groys
Andreas L. Hofbauer Durchtrennung der Kette?
Walter Seitter Ding und Medium bei Helmuth Plessner und bei Fritz Heider
Hans Georg Nicklaus Musikalische Romantik und Paganini in Wien
Ralf Rother Die Damen in der Strafkolonie.
(Hans Gross und Franz Kafka)
Wilfried Gärtner Erinnerungen an die Zukunft
Vom Aktual zum Potential der Menschen
Wolfgang Martin Sind Medien Medien?
Bemerkungen zu Opazität im Sprachgebrauch.
Klaus Stelzer Naturgesetzlichkeit und Bewußtsein
Walter Seitter Zur theoretischen Relevanz Alter Medien
Montag, 16. Oktober 2000: 19.30 Uhr
Lehrkanzel für Kommunikationstheorie
Postgasse 6
1010 Wien
Zur theoretischen Relevanz Alter Medien

"Wenn wir die alten Medien - wie die Straße oder die Schrift - verstehen würden, dann bräuchten wir diese ganzen elektronischen Medien gar nicht". Ungefähr so lautet eine der rätselhaftesten Aussagen von McLuhan - als ob es ihm darauf ankäme, uns irgendwelche Neuerungen vom Halse zu halten.

Es kommt aber weder ihm noch mir darauf an. Vielmehr wird behauptet, daß das Verstehen nur zirkulär möglich ist: eines durch ein anderes. Man muß jedoch bei irgendeinem einen anfangen und da empfiehlt sich eines, wo der Blick durch keinen Enthusiasmus verzerrt ist.

Montag, 6.November 2000: 19.30 Uhr
Lehrkanzel für Kommunikationstheorie
Postgasse 6
1010 Wien
Naturgesetzlichkeit und Bewußtsein

Anhand des Übersichtsbildes Orientierung Welt Übersicht wird die natürliche und naturgesetzliche Entwicklung unserer Welt kurz nachgezeichnet.

Im Besonderen werden naturgesetzliche Funktionen erst in dinglichen und dann in psychosomatischen Bereichen besprochen.

Nach diesem wissenschaftlichen Ausflug lenke ich unsere Aufmerksamkeit auf die Ebene wirklicher Bewußtseinszustände mit Stimmungen, Gefühlen, Gedanken, Träumen und kleinen Erleuchtungen und zeige, wie wir auch bei innerer Determinierung unser Leben willentlich beeinflussen können. Künstlerische Kreativität und Intuition folgen jedoch, fachlich veredelt, den Impulsen des inneren Flusses.

Gesellschaftlich stellt sich die Frage: Sind intuitive Erscheinungen natürlich kausalen oder etwa übernatürlich göttlichen Ursprungs? Meine Antwort ist natürlich kausal. Wie ist Ihre?

Montag, 20. November 2000: 19.30 Uhr
Lehrkanzel für Kommunikationstheorie
Postgasse 6
1010 Wien
Sind Medien Medien?
Bemerkungen zu Opazität im Sprachgebrauch.

Je durchlässiger ein Medium ist, desto unveränderter scheint es die Intentionen dessen zu transportieren, der es handhabt. Das hat wenig damit zu tun, ob ein Medium etwas taugt. Der Glaube an den Wert direkter Mediatisierungen täuscht darüber hinweg, daß zumeist der scheinbar am wenigsten ins Gewicht fallende Apparat die unausweichlichste Kanalisierung (Flusser) mit sich bringt. Er leistet wenig Widerstand, er fordert wenig zum Widerstand heraus, Wider-stand gegen den Apparat, Widerstand gegen den Mittler: Medium, das zum Aus-dem-Gewicht-Setzen der Widerstände neigt. McLuhans Gleichung - Medium = Botschaft - trägt dem Rechnung. Ein Phänomen, eine Äußerung, eine Botschaft aber kippen und zeigen ein "anderes Gesicht" durch Widerstandsbildungen (Kafka, Köhler). Je mehr Widerstand, desto eher verliert das Medium seine Mittlerfunktion und es gewinnt Charakter

Montag, 11. Dezember 2000: 19.30 Uhr
Ordinariat für Kommunikationstheorie
Postgasse 6
1010 Wien
Erinnerungen an die Zukunft
Vom Aktual zum Potential der Menschen

Seit Entstehen des Homo Sapiens Sapiens hat sich an dessen genetischer Ausstattung nichts wesentliches geändert. Sehr viel dagegen hat sich am Selbst-Verständnis der Menschen geändert, bezogen auf diese gleichbleibende biologische Ausstattung, und nähert sich der wirklichen Komplexität der Menschen.Noch aber bleiben die verschiedensten Dimensionen dieser Erkenntnisse in eine integrale Gesamterkenntnis zu verwandeln ... Alle bisherigen Lösungen sind legitim, so sie als Not-Lösungen gesehen werden, denn ohne Rücksicht auf den erreichten Erkenntnisstand ist das Leben zu gestalten, meist leider nur als Überleben und noch keineswegs als volles Leben. Entsprechend dem vorläufigen Erkenntnisstand sind Urteile vorläufige Urteile, also Vor-Urteile, auch legitim, so sie in zeitlicher Hinsicht gesehen werden. Eine voll entfaltete Zeitlichkeit, auch das sei vermerkt, erfordert auch eine voll entfaltete Räumlichkeit.

Montag, 22. Jänner 2001: 19.30 Uhr
Ordinariat für Kommunikationstheorie
Postgasse 6
1010 Wien
Die Damen in der Strafkolonie.
(Hans Gross und Franz Kafka)

Die Diskussionen zur Deportationsfrage waren Franz Kafka bekannt: einerseits durch einen seiner früheren Professoren an der Universität Prag, andererseits wurde über die Deportationsfrage ausführlich in der deutschen sowie österreichischen Öffentlichkeit debattiert. Als er seine Erzählung In der Strafkolonie schrieb, lagen diese Debatten jedoch schon einige Jahre zurück, denn nachdem der Jurist Robert Heindl dem Deutschen Reichstag die Ablehnung der Deportation in Strafkolonien empfahl, verstummten die Deportationsdiskussionen für einige Jahre.

Als Student nahm Franz Kafka in den Jahren zwischen 1903 und 1905 an Lehrveranstaltungen des Kriminalpsychologen Hans Gross zum materiellen Strafrecht, zum Österreichischen Strafprozeß sowie zur Rechtsphilosophie teil. Schon längst war Hans Gross mit seinem Standpunkt zur Deportationsfrage publizistisch in Erscheinung getreten. 1905 veröffentlichte er seinen Artikel "Degeneration und Deportation", der auch seinen Studenten nicht verborgen geblieben sein konnte.

Montag, 12. März 2001: 19.30 Uhr
Ordinariat für Kommunikationstheorie
Postgasse 6
1010 Wien
Musikalische Romantik und Paganini in Wien

Im frühen 19. Jahrhundert behaupteten manche, Musik sei die romantische Kunst schlechthin. Die Unbestimmtheit ihrer Töne läßt sie zur Sprache des Unaussprechlichen werden. Dies evoziert zwei gegenläufige Bewegungen in der Musikpraxis und im Musikdiskurs: eine Bewegung zur Abstraktion, zur Instrumentalmusik, zur sogenannten ‘absoluten Musik’ und zu einer Beschwörung der metaphysischen Qualitäten der Musik; andererseits die Bewegung einer explosionsartig zunehmenden Theatralisierung, Ausschmückung und ‘Ausstattung’ der musikalischen Mittel durch immer größer werdende Orchester, Konzertsäle, Opern sowie durch eine fast unbändige Vermarktung, Inszenierung und Popularisierung von großen Solisten. Das Unbezeichenbare läßt die Zeichen explodieren ...

Montag, 2. April 2001: 19.30 Uhr
Ordinariat für Kommunikationstheorie
Postgasse 6
1010 Wien
Ding und Medium bei Helmuth Plessner und bei Fritz Heider

In seinem Hauptwerk Die Stufen des Organischen und der Mensch - subsumiert Helmuth Plessner den "Menschen" geradezu brutal unter den Begriff "Ding". Es entsteht der Eindruck, der Mensch wird als eine Stufe der Dinglichkeit angesehen. Andererseits wird dem Ding ein Medium gegenübergestellt, das nicht durch Medienfunktionen definiert wird. Dabei handelt es sich um einen unspezifischen Medienbegriff, wie er in der Physik nach wie vor gang und gäbe ist. Beide Begriffsstrategien bestätigen die Vermutung von Helmut Lethen, daß Plessner mit seiner Verhaltenslehre der Kälte einem physicalistic turn Vorschub leistet. Plessners Begriffspolitik wird mit dem inzwischen berühmt gewordenen ebenfalls aus den Zwanzigerjahren stammenden Aufsatz von Fritz Heider konfrontiert, der eine physikalische Bestimmung des funktionalen Medienbegriffs versucht.

Montag, 23. April 2001: 19.30 Uhr
Ordinariat für Kommunikationstheorie
Postgasse 6
1010 Wien
... daß auf jeder Mittagsstunde ein neuer Tag ersteht und daß unter jeder Tiefe sich noch eine tiefere Tiefe auftut.
Emerson
Durchtrennung der Kette?

Über Herman Melvilles (1819-1891) letztes Prosawerk Billy Budd, Foretopman - es blieb unvollendet und wurde erst postum veröffentlicht - gab und gibt es zahlreiche Spekulationen. Nach 19 Jahren des literarischen Schweigens und kärglichen Brotberufs als Zöllner im Hafen von New York, legte uns Melville eine Erzählung vor, die ebenso als konservativ-politisches Testament verstanden wurde, wie auch als vehemente Anklage gegen ein inhärent ungerechtes System (und als Apologie der Revolution). Als Parabel biblischen Ausmaßes oder als bloß
ironisierende Geste; als Verarbeitung biographischer Vorkommnisse (Melvilles Beziehung zu seinen Söhnen, seine latente Homosexualität) oder als Gleichnis für eine immerwährende Schuld des Menschen und der (Er-)Lösung von ihr.

Was aber ist Billy Budd? Schuld als politischer Faktor oder misslungene Politik der Filiation? Kann die politische "Praxis" daraus etwas lernen (etwa im Generationenministerium)?

Montag, 14. Mai 2001: 19.30 Uhr
Ordinariat für Kommunikationstheorie
Postgasse 6
1010 Wien
Über die Innovation in der Kunst und in der Kultur
Mit einem Blick auf Boris Groys

Boris Groys’ Essay Über das Neue (München 1992) ist eine brillante Untersuchung der Ökonomie der Innovation in der Kunst und der Ausgangspunkt einer kritischen Untersuchung der überragenden Bedeutung der Innovation in Kultur und Gesellschaft heute und ihrer Interpretation in Theorie und Kritik.

Die Darstellung der Interpretation des Neuen durch Boris Groys wird durch andere Gesichtspunkte ergänzt und erweitert.

Der Wandel zentraler Paradigmen der gesellschaftlichen Selbstrepräsentation und ihre Wiederspiegelung in der Kunst als Sphäre ihrer Versinnbildlichung ist das Thema dieses Referates.

Freitag, 15. Juni 2001: 17.00 Uhr
Ausstellung: Eine barocke Party
Kunsthalle im Museumsquartier
Die Falte. Ein Element barocken Denkens?

Gespräch mit Gottfried Hinker und Walter Seitter
Moderation: Ralf Rother

Angeregt durch das Buch von Gilles Deleuze über die Falte und den Barock wollen wir fragen, ob Eigentümlichkeiten des barocken Stils „materialistisch“ oder „formalistisch“ charakterisiert werden können: unter Heranziehung von Physik, Mathematik, Topologie.